Biographie - Robert Johnson |
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Die
auf ein paar improvisierten Sessions vor über 50 Jahren
eingespielten 29 Songs von Robert Johnson haben die populäre Musik
unserer Zeit mitgeprägt. Sein musikalisches Vermächtnis
ermöglicht nicht nur einen unvergleichlichen Einblick in das
Alltagsleben der schwarzen Bevölkerung im amerikanischen
Bundesstaat Mississippi der 30er Jahre, sondern ist darüber hinaus
auch heute noch zahllosen Blues- und Rockmusikern eine nie versiegende
Quelle der Inspiration.
An einem Samstagabend im Sommer 1938 spielte Robert Johnson in einem
sogenannten "Juke-Joint", einem ländlichen Tanzschuppen, in Three
Forks bei Greenwood in Mississippi. Er hatte die Angewohnheit, seine
Songs immer an eine ganz bestimmte Frau im Publikum zu richten - an
eine, der er sich bereits verbunden fühlte, oder an eine, die er
näher kennenlernen wollte. Diesmal wandte er sich an ein
Mädchen, mit dem er seit ein paar Wochen ein Techtelmechtel hatte.
Vielleicht war ihm nicht bekannt, daß ihr Ehemann davon
wußte, vielleicht war es ihm auch einfach egal. Johnson war schon
etliche Male in einer solchen Lage gewesen und wußte, wie er sich
dabei am besten aus der Affäre ziehen konnte.
Aber diesmal kam alles anders: Der betrogene Ehemann war der Besitzer
des "Juke-Joint", also sein Arbeitgeber. Johnson erwartete für
seinen Auftritt wahrscheinlich keine Bezahlung, weil er, wie viele
"Bluesmen", nur für ein Essen und freie Getränke spielte.
Jedenfalls trank Johnson alles, was ihm angeboten wurde - auch die
Flasche vergifteten Whisky, die er irgendwann im Laufe des Abends
aufgetischt bekam. Kurz darauf konnte er vor Schmerzen nicht mehr
weiterspielen. Er wurde in das Haus eines Freundes gebracht, wo er am
Dienstag, den 16. August starb, drei Tage (anderen Quellen zufolge drei
Wochen) nach seinem Auftritt. Am folgenden Tag wurde er auf dem
Friedhof einer nahegelegenen kleinen Kirche anonym bestattet.
Das hätte das Ende dieser Story sein können: Unbekannter
erlag einem Mordanschlag. Doch zum Glück kam es anders: Noch im
selben Jahr versuchte der Schallplattenproduzent John Hammond, der die
Aufnahmen Johnsons kannte, ihn ausfindig zu machen. Er sollte gemeinsam
mit Gospelsängern und Jazzmusikern in dem Programm "Spirituals to
Swing" in der New Yorker Carnegie Hall auftreten. Schließlich
erfuhr John Hammond, daß er leider zu spät gekommen war.
Über den Tod hinaus
Drei Jahre später begann der junge Sänger und Gitarrist
Robert Lockwood mit einigen Songs von Johnson seine Karriere. Da dessen
Mutter eine der Freundinnen Johnsons gewesen war, war Lockwood so etwas
wie ein "Stiefsohn" Johnsons.
So überlebte die Musik Robert Johnsons auf zweierlei Weise: Zum
einen durch Männer wie Hammond (Blues-Enthusiasten, die von
Johnsons Musik ergriffen und von seinem kurzen und geheimnisvollen
Leben fasziniert waren); und außerdem durch andere
Bluessänger, d.h. seine Zeitgenossen und Repräsentanten
nachfolgender Generationen, die sich von seinem lebendigen und
kreativen musikalischen Werk inspirieren ließen. Robert Johnson
wurde im Laufe der folgenden 50 Jahre der meistkopierte,
meistdiskutierte und wohl faszinierendste aller Bluesmusiker.
Lob in höchsten Tönen
Keith Richard nannte ihn "den größten
Folk-Blues-Gitarristen, der jemals gelebt hat", und für Eric
Clapton ist Robert Johnson "der größte Sänger, der
größte Songwriter". Der Rock-Chronist Greil Marcus sah in
ihm "den emotional engagiertesten aller Bluessänger", und für
den Volkskundler Mack McCormick, der sich fast 20 Jahre lang mit Robert
Johnsons Leben und Werk beschäftigte, ist er "ein visionärer
Künstler mit einem wahnsinnigen Wissen über seine Zeit und
die Welt, in der er lebte, sowie einem reichen Schatz an
persönlicher Erfahrung".
Johnsons Musik hat unzählige in ihren Bann gezogen, seien es
Bluesmusiker vom Mississippi, englische Blues- und Rockgitarristen,
Dichter und Schriftsteller, Satiriker oder Filmemacher. Vielleicht,
weil sein Leben und seine Kreativität ein so plötzliches Ende
nahmen, oder weil er wie ein Phantom durch die Geschichte des Blues
geistert - von vielen gesehen und gehört und dennoch (wie man
viele Jahre glaubte) von niemandem je fotografiert.
Der Stammbaum des Blues
Neben all der Aura, die Johnson umgibt, liegt doch der Grund für
seinen Erfolg in der Aufrichtigkeit seiner Musik. Obwohl sie
häufig aus falschen Gründen bewundert wird, sei hier nur mit
einem Mißverständnis aufgeräumt: Johnson war kein
geheimnisvolles Jahrhundertgenie, sondern Teil der logischen
Entwicklung der Bluesmusik - der Künstler des Übergangs, der
die harten Konturen der Musik von Son House und Skip James
glättete und damit einen Stil schuf, der wiederum von Muddy Waters
und Elmore James aufgegriffen und weiterentwickelt werden konnte.
Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß Johnsons beste Stücke
selbst die hervorragendsten Songs seiner Zeitgenossen weit
übertrafen. Die meisten Bluesmusiker entwickeln eine bestimmte
"Strategie", einen ganz bestimmten Stil. Viele ihrer Nummern sind in
diesem Stil gehalten und unterscheiden sich nur in Details, z.B. im
Tempo oder einer ganz besonders einprägsamen Phrase (der
sogenannten "hookline").
Johnson war da anders: Seine Lieder zeichnen sich durch
Individualität aus. Stimme und Instrument sind genau und mit
Bedacht aufeinander abgestimmt. Selten wiederholt er sich, nicht einmal
in ein- und demselben Song. Jedes Stück ist ein in sich
geschlossenes Werk, einzigartig, denkwürdig, typisch nur für
sich selbst.
Aber da ist noch etwas: Das Gefühl, daß diese Songs nicht
nur unterhaltsam, sondern für ihn von großer
persönlicher Bedeutung waren. Wenn sie nicht direkt sein Leben
widerspiegelten, dann stimmten die darin gemachten Aussagen doch
überein mit seinen Ansichten über die Welt, in der er lebte.
Auch wenn diese Interpretation nicht bewiesen werden kann, sind
Johnsons leidenschaftliche und intime Songs und Lyrics vielen
Hörern Beweis genug.
Wanderlust
Die kleine Stadt Hazlehurst liegt etwa 50 Kilometer südlich von
Jackson, der Hauptstadt Mississippis. Um 1907 wurde der Schwarze
Charles Dodds Junior nach einem Streit mit einflußreichen
Weißen gezwungen, die Stadt zu verlassen. Nachdem er seinen Namen
in C.D. Spencer geändert hatte, ließ er sich in Memphis
nieder. Seine Geliebte sowie einige seiner Kinder gingen mit ihm,
darunter auch die Kinder seiner Ehefrau Julia, die noch eine Zeitlang
in Hazlehurst bleiben sollte. Dort fing sie später ein
Verhältnis mit dem Landarbeiter Noah Johnson an, der am 8. Mai
1911 der Vater von Robert werden sollte.
1914 zog Julia zu ihrem Ehemann nach Memphis, den sie allerdings einige
Jahre später verließ, um erneut zu heiraten. Seit 1918 lebte
Robert bei seiner Mutter und seinem Stiefvater Willie "Dusty" Willis in
Robinsonville im Staat Mississippi.
Als seine Mutter ihm erzählte, wer sein wahrer Vater war,
änderte Robert seinen Nachnamen von Spencer in Johnson. Schon als
Teenager spielte er Mundharmonika und Gitarre. Sein Kumpel war der
Musiker Willie Brown. Er machte Johnson mit Charlie Patton und Son
House bekannt, dessen ausdrucksvoller Gesangsstil Robert tief
beeindruckte. Son House war zunächst gar nicht sonderlich angetan
von seinem neuen Bekannten - er hielt ihn zwar für einen recht
guten Mundharmonikaspieler, aber auf gar keinen Fall für einen
talentierten Gitarristen.
Johnsons Ruhelosigkeit ist allen in Erinnerung, die ihn kannten. Viele
Bluessänger waren und sind stets auf Wanderschaft - so als
gehöre das zu ihrem Beruf. Aber Johnsons Neigung, alles stehen und
liegen zu lassen, ging weit darüber hinaus. Im Frühjahr 1930
starb seine 16jährige Ehefrau Virginia bei der Geburt ihres
(totgeborenen) Kindes. Kurze Zeit später verließ er
Robinsonville und machte sich - vielleicht auf der Suche nach einem
festen Halt in dieser ansonsten so haltlosen Welt - auf den Weg nach
Hazlehurst zu seinem Vater.
Ob er seinen Vater je fand, wissen wir nicht. Er begegnete jedoch
seiner zweiten Frau Callie Craft und einem neuen Kreis von
Bluesmusikern, mit denen er zusammen spielen und von denen er lernen
konnte. Er wurde zu einem sehr gefragten Musiker für die
samstäglichen Veranstaltungen, und als er ein Jahr später
nach Robinsonville zurückkehrte, waren Son House und Willie Brown
von seinen Fortschritten überwältigt. "Er setzte sich einfach
hin und fing an zu spielen, und als er fertig war, standen wir mit
offenem Mund da", erinnerte sich House 30 Jahre später.
Des Teufels Advokat
House erzählte diese Geschichte oft und gern. Manchmal fügte
er noch hinzu: "Um so spielen zu können, muß er dem Teufel
seine Seele verkauft haben". Das war mehr als eine bildhafte
Beschreibung: Damals glaubten viele Schwarze fest daran, daß
jeder, der sich sozusagen über Nacht eine
außergewöhnliche Fähigkeit angeeignet hatte, mit
übernatürlichen Mächten gemeinsame Sache gemacht haben
mußte. Man konnte sich um Mitternacht an einer Wegkreuzung mit
dem Teufel treffen und ihm die eigene Seele für seine Musik
verkaufen - und die Musik des Teufels war natürlich der Blues.
Nahezu immer, wenn von Johnson die Rede ist, kommt die Geschichte mit
dem teuflischen Pakt zur Sprache. Ähnliche Geschichten sind auch
über zahllose andere Bluesgitarristen im Umlauf. Johnson selbst
hat dazu nie Stellung genommen, auch nicht in Songs, in denen
Straßenkreuzungen ( "Cross Road Blues") oder der Teufel selbst (
"Me and the Devil") vorkamen. Er erwähnte magische Praktiken und
Arzneien - wahrscheinlich war er ebenso abergläubisch wie die
meisten anderen Mississippi-Schwarzen jener Jahre - aber die einzige
Inspirationsquelle zu seiner Musik war ohne Zweifel die eigene,
durchlebte Erfahrung.
Auf Achse
Während der gesamten nächsten Jahre reiste Johnson entlang
der Ufer des Mississippi von einem Baumwollstädtchen zum
nächsten. Helena in Arkansas, wo er eine Zeitlang blieb, zog die
Bluesmusiker der gesamten Gegend wie ein Magnet an. Hier kreuzten sich
seine Wege mit denen von Sonny Boy Williamson II, Howlin' Wolf, Robert
Nighthawk und Johnny Shines. In Mississippi machte er die Bekanntschaft
von Honeyboy Edwards.
Der vier Jahre jüngere Shines, selbst ein faszinierender
Bluessänger, hat uns ein besonders genaues und detailliertes Bild
Johnsons überliefert. "Wenn man ihn mitten in der Nacht aufweckte
und ihm sagte, daß gleich ein Frachtzug vorbeikäme,
würde er mit 100%iger Sicherheit sagen: 'Gut, laß' uns
draufspringen', sich seine Gitarre schnappen und abhauen, egal, mit
welcher Frau er gerade zusammen war. Er haute einfach ab.
Er war der geborene Vagabund. Er war da zuhause, wo er einen Platz zum
Schlafen fand, und selbst der war ihm häufig nicht sicher. Wir
zogen herum und kamen an den Zahltagen in die Holzfällercamps oder
zu den Gleisbaukolonnen - immer dahin, wo das Geld gerade locker
saß. Wir sprangen überall auf Güterzüge drauf.
Spielten in Tanzschuppen, auf Bürgersteigen - Johnson, dem
Showman, war alles recht."
Eine der stärksten Nummern, die Johnson bei seiner ersten
Aufnahme-Session für ARC einspielte, war "Walkin' Blues", eine
Zusammenfassung von zwei Blues-Stücken, die Son House sechs Jahre
zuvor aufgenommen hatte. Zunächst spielte Johnson es wie ein
gehorsamer Schüler und folgte im Tempo genau dem Älteren.
Doch dann beschleunigt er das Tempo, ändert den Gesangsstil. Er
fügt unvorhergesehene Akzente und Falsetteinlagen ein - er kann
seine Unzufriedenheit mit dem althergebrachten Stil nicht mehr
verbergen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie House und
seinen Zeitgenossen beim Zuhören ein Schauer über den
Rücken lief. Sie sahen in eine Zukunft, in der kein Platz mehr
für sie war.
Der "Terraplane Blues" aus dieser ersten Aufnahme-Session wurde ein Hit
und verkaufte sich so gut, daß Johnson ein zweites Mal nach Texas
reisen konnte, wo er 1937 in Dallas im Lagerhaus des Unternehmens im
Verlaufe eines Wochenendes weitere 13 Songs einspielte. Diese Songs
zeigen Facetten seiner Persönlichkeit, die die früheren
Aufnahmen nicht einmal ahnen ließen. In seinen Versionen von
"Malted Milk" und "Drunken Hearted Man" erinnert sein Vortrag an den
schwermütigen Stil Lonnie Johnsons. Andere Nummern sind eher soft
und nachdenklich, zum Beispiel "Honeymoon Blues" oder das
wunderschöne "Love in Vain".
In anderen Songs offenbart sich die dunklere Seite seines Wesens. "Man
könnte vielleicht sagen, er war fast eine gespaltene
Persönlichkeit", sinnierte Shines über seinen Freund.
"Manchmal war er der sanfteste und ruhigste Mensch, den man sich
vorstellen kann. Bei anderer Gelegenheit konnte er plötzlich so
gewalttätig werden, daß man ihn besser in Ruhe ließ."
Johnson-Revival
Die Veröffentlichung des Albums King of the Delta Blues Singers
(Columbia) im Jahre 1962 führte zur Wiederentdeckung Robert
Johnsons. Einige seiner Songs wurden von Blues-Bands und von
bluesinspirierten Rock-Gruppen in ihr Repertoire aufgenommen. Seine Art
des Gitarrenspiels beeinflußte so unterschiedliche Musiker wie
Jimi Hendrix und Mike Bloomfield, Eric Clapton und Keith Richards.
1990 kam die CD The Complete Recordings auf den Markt. Johnson konnte
eine neue Generation von Bewunderern für sich einnehmen. Seine
Seele scheint weiter zu leben und auch heute noch, vielleicht an
irgendeiner Straßenkreuzung, auf den nächsten Bus zu warten,
um sich auf und davon zu machen. Die Reise geht weiter - und Robert
Johnson ist stets mit von der Partie.
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